Demgegenüber datieren die Rechte des in den selben Weistümern als Gewalt-, Schutz- und Schirmherren zu Oedt bezeichneten Kölner Erzbischofs erst auf das Jahr 1349.
Was die Gladbacher Äbte nicht vermochten, nämlich ihre grundherrlichen Rechte in Oedt zur Landesherrschaft zu steigern, das gelang im 13. und 14. Jahrhundert ihren dortigen Vögten, den Grafen von Kessel, bzw. den ihnen nachfolgenden Luf von Kleve (Grafen von Hülchrath und Herren von Kervenheim). Unter Dietrich Luf III wurde die 1312/1313 erbaute Burg Uda nicht nur ein sichtbares Zeichen für die Zusammenfassung der verschiedenen Rechte der Lufs im Gebiet von Oedt zum dominum, also zur Landesherrschaft, sondern auch zum machtpolitischen und verwaltungsmäßigen Zentrum für den engeren Oedter Herrschaftsbereich wie für die Lufschen Besitz- und Rechtstitel im Lande Kempen und zu Hüls.
Das Urteilsgremium des Oedter Gerichts bildeten
neun Schöffen auf drei Bänken:
Vier aus dem Kirchspiel Oedt, wovon jeweils zwei vom Auffeld und
vom Niederfeld stammten. Zwei weitere aus dem Hagen, der von Schmitzbaum
bis zur Schüpp reichte, und drei aus dem Unterbruch, das sich von
Schmitzbaum bis Klapdor bei Schiefbahn erstreckte.
War eine der drei Schöffenbanken ledig, konnte keine Gerichtssitzung
abgehalten werden.
Weiterhin gehörten dem Gericht ein Gerichtsschreiber und die beiden Gerichtsboten, von denen der eine nur für das Unterbruch, und der andere für das Kirchspiel Oedt (Niederfeld und Auffeld), sowie den Hagen zuständig war an. Und dann gab es noch zwei Prokuratoren, die als Parteienvertreter am Gericht dienten.
Das Week-, Wochen- oder Landgeding
Das vierzehntägliche Week-, Wochen- oder Landgeding
(folgend Weekgeding) fand unter dem Vorsitz des Schultheißen normalerweise
Donnerstags
statt. Er ließ den Gerichtsterminam Sonntag vorher in den Kirchen
zu Oedt und Anrath ausrufen. Dem Schultheißen stand auch, im Gegensatz
der Regelung zum Vogtgeding, die Freiung der Gerichtsbank als auch
die Schöffenbelehrung auf dem Weekgeding zu.
Der Amtmann nahm am Weekgeding nur als „schweigender Vogt“ teil:
das heißt dem Abt von Gladbach als Grund- und Gerichtsherren war
es gelungen, den Vogt von seinem Niedergericht fernzuhalten. Er
war jedoch zur Hilfeleistung verpflichtet, wenn er als Gewaltherr
vom Schultheißen, wie bei Schwierigkeiten in Vollstreckungsangelegenheiten
auch bei Weigerung von zum Schöffenamt oder anderen gerichtlichen
Funktionen erwählten Personen, um Durchsetzungshilfe angegangen.
Von den Brüchten erhielt der Amtmann das Vogtsdrittel sowie die
Fünf-Mark-Strafen, abzüglich des hiervon den Schöffen zustehenden
dritten Pfennigs.
Der Amtmann in seiner Funktion als „schweigender Vogt“ beim Weekgeding
achtete darauf, dass es sich nicht mit Gewaltsachen beschäftigte,
denn in Kriminalfällen, worunter auch Schlägerei, Schmähung, und
Schelte vielen, sowie Angelegenheiten, die kurfürstliche Interessen
betrafen, hatte der Amtmann den Antast und war zum außergerichtlichen
Verhör- und Entscheid berechtigt.
Die Sitzungen des Weekgedings wurden im Salhof, der in der Nähe
der Kirche stand, bis zu seinem Abbrand um 1604 abgehalten. Danach
fanden sie in dem alten, mit dem spätmittelalterlichen Dinghaus
identischen Fron-, Frei- oder Herrenhof an der Stelle des heutigen
Pastorats neben der Kirche. Der jeweilige Besitzer dieses Hofes
war verpflichtet, dem Gericht drei Räume zur Verfügung zu stellen:
Einen für die Abhaltung der Gerichtssitzung und einen für die Beratung
der Schöffen.
Als Vertreter des Gerichtsherrn stand dem Schultheiß der dritte
gesonderte Raum zu.
Außerdem befand sich in dem Dinghaus ein „Arrestlokal“, in dem sich
der Stock mit den eingefassten Schieneisen und Fesseln befand. Hierin
konnte der Schultheiß Schuldner bis zu drei Tage in Verwahr nehmen.
Löste sich der Inhaftierte nicht innerhalb dieser Frist aus, so
ließ der Schultheiß ihn durch den Gerichtsboten dem Amtmann übergeben,
der ihn dann bis zur Auslösung in Gewahrsam nahm.
So verfuhr man übrigens auch mit Vieh, das auf fremden Boden angetroffen
wurde und dort Schaden angerichtet hatte: Man besichtigte und taxierte
den Schaden und trieb das Vieh auf den Fronhof. Leistete der Viehhalter
nicht innerhalb von drei Tagen Schadensersatz, trieb man das Vieh
auf die Burg Oedt, wo es bis zu Schadensbegleichung in Verwahr genommen
wurde. Beim Ausbleiben einer Regulierung wurde das Vieh zur Deckung
aller Kosten durch den Amtmann verkauft.
Der Schulheiß war auch für die Beurkundung von Verkauf und Erbe,
die Eintreibung anerkannter Schuldforderungen, die außergerichtliche
Entgegennahme von Zeugenaussagen und die Aufsicht über Maß und Gewicht
zuständig.
Zu diesen Handlungen zog er meist zwei oder mehr Schöffen sowie
den Gerichtsschreiber und einen Gerichtsboten hinzu. Der Schulheiß
hatte auch den Feldfried (Ende April/Anfang Mai) und den Bendenfried
(Mitte Mai) auszurufen. Jeder Beerbte hatte zu diesem Zeitpunkt
seine Gräben und Zäune in guten Zustand zu setzen, damit dem Nachbarn
kein Schaden geschehe. Wen Schulheiß und Schöffen zwei bis drei
Wochen später diesbezüglich säumig fanden, den zog man beim nächsten
Weekgeding zu Rechenschaft.
Zusamen mit zwei Schöffen bestellte der Schultheiß auch die Vormünder
für unmündige Kinder, hörte deren jährliche Rechnungslegung ab und
entlastete beziehungsweise entpflichtete sie nach Aufstellung des
Inventars und Ablegung der Schlussrechnung.
Das Vogtgeding
Das einmal jährlich im Mai abzuhaltende Oedter Vogtgeding, zu dem
alle Amtsinsassen zu erscheinen verpflichtet waren, bestand aus
einer rechtsförmlichen Eröffnungssitzung
an der Oedter Kirche,
bei der unter anderem das Landrecht,
die Schöffenweistümer
und, wie 1768 angeordnet, auch die Niersordnung
zur Verlesung kamen, sowie die Klagen und Gebrechen der Gemeinde
vorgetragen wurden.
Vor das Oedter Vogtgeding gehörten Grenzverletzungen, Wald- und
Flurbeschädigungen jeglicher Art, mit Ausnahme der Wald- und Flurbeschädigungen
in Hagen und Unterbruch, über die vor der sogenannten Holzbank in
Anrath verhandelt wurde.
Sodann folgte eine gerichtliche Amtsbegehung, bei der unrechtmäßige,
öffentliche Strassen und Wege beeinträchtigende Abpfählungen, Abgrabungen
und Abzäunungen geahndet, sowie die Richtigkeit der auch im Amte
Oedt geltenden Kempener Maße und Gewichte überprüft wurden.
Den Termin des Vogtgedings ließ der Amtmann an den drei vorhergehenden
Sonntagen in den Kirchen zu Oedt und Anrath ausrufen. Der als Vogt
fungierende Amtmann nahm namens des Kölner Kurfürsten nur die in
der Freiung und Hegung der Gerichtsbank sowie in der Anmahnung und
Belehrung der Schöffen zum Ausdruck kommende Schutz- und Schirmherrschaft
über das Vogtgeding wahr. Diese wurde ihm mit einem halben Gulden
Current vergütet.
Das Gericht erhielt vom Gladbacher Abt als Grundherrn sein Landrecht
und dem Schultheißen als Richter und Stellvertreter des Abtes oblag
die Einsetzung der Schöffen und des übrigen Gerichtspersonals. Der
Schultheiß saß dem Gericht vor und hatte für dessen Beköstigung
zu sorgen, ihm standen auch die Strafgelder zu.
Belege für Vogtgedinge fanden sich für 1554, 1560, 1589, 1602, 1604
(3.–7. Juli), 23. und 24. August 1608, 22./23. Juni und 16 Juli
1609, 1610,1612, 1614 und 1619.
Bei den Gedingen ging es scheinbar hoch her.
Das Nachvogtgeding
Der Schultheiß berief und leitete das Nachvogtgeding, auf dem vierzehn
Tage nach dem Vogtgeding in Anwesenheit aller Schöffen und des Amtmannes
alle die Gebrechen behandelt werden sollten, die auf dem Vogtgeding
nicht erledigt, beziehungsweise beim Vogtgedingumgang erst festgestellt
worden waren.
Obwohl die Abhaltung eines solchen Nachvogtgedings die Regel war,
forderten die Amtsinsassen auf dem Vogtgeding von 1599, dass im
Falle seiner Nichtabhaltung alle noch strittigen Sachen ins nächste
Weekgeding eingebracht werden sollten.
Das Notgeding
In besondes dringlichen Fällen konnte ein außergewöhnliches Vogtgeding,
ein sogenanntes Notgeding, durch den Schultheißen einberufen werden.
Dieses hatte er dem restlichen Gericht, also dem Amtmann, den Schöffen
und den übrigen Gerichtspersonen, drei Tage vorher anzukündigen.
Für diese Gerichtssitzung erhielt jeder Schöffe einen Goldgulden,
der Schultheiß für die Ausrichtung und den Vorsitz einen halben
Goldgulden- abzüglich des dem Amtmann hiervon zustehenden Vogtdrittels.
Hohe Gerichtsbarkeit
Gegen ein Urteil des Oedter Schöffengerichtes konnte an das Hauptgericht zu Kempen appelliert werden. Jedoch musste eine solche Appellation von den Schöffen und vom Gladbacher Abt als Gerichtsherren zugelassen werden und innerhalb einer Frist von sechs Wochen und drei Tagen erfolgen.
In Kapitalsachen besaß der Amtmann nicht nur das Recht des Zugriffs und der Voruntersuchung mit einigen Schöffen, sondern außerdem die Pflicht, den Delinquenten dem Kempener Gericht zur Aburteilung und Exekution zu überstellen. Mit anderen Worten die Hochgerichtsbarkeit für das Amt Oedt wurde in den durch die Weistümer belegten Jahren durch das Kempener Schöffengericht ausgeübt, wobei allerdings in beiden Verkaufsurkunden zur Herrlichkeit Oedt aus den Jahren 1348 und 1349 sowohl die hohe und niedere Gerichtsbarkeit (mit den gerichten ho ind neder) ausdrücklich erwähnt werden, so dass anzunehmen ist, dass zuvor auch die Hohe Gerichtsbarkeit in den Händen des Oedter Vogtes gelegen hat. Allerdings liegt kein Beleg für eine Gerichts- / Galgenstätte im gesamten Amt Oedt bis dato vor, was allerdings ob des frühen Zeitraums (vor 1348) und deshalb nicht vorliegender Kartenmaterialien nicht überbewertet werden sollte.
Die hier wiedergegebene Form der, in den Weistümern des 16. und 17. Jahrhunderts beschriebenen und in dieser Form sicherlich mindestens in das 14. Jahrhundert zurückreichenden Oedter Jurisdiktionsverhältnisse, haben bis zum Ende des Ancien régime Bestand gehabt.
Diese Kontinuität ist um so bemerkenswerter, als das Amt Oedt ungewöhnlich
oft verpfändet wurde. Während dieser Verpfändung übte der Pfandherr
als kurfürstlicher Amtmann im Auftrage des Kölner Erzbischofs, auf
eigene Rechnung und Verantwortung die unmittelbare Herrschaft aus.
Zahlreiche Kontroversen im 17. und 18. Jahrhundert zwischen den
Äbten von Gladbach, beziehungsweise ihren Schultheißen und den kurfürstlichen
Amtmännern. Bei diesen belegten Auseinandersetzungen ging es vor
allem um den Ehrenplatz des Vogtes im Gericht, um die Ansetzung
der jährlichen Vogtgedinge und um die Rechtmäßigkeit der Einsetzung
neuer Schöffen auf dem Week- und Vogtgeding, damit bei Ausfall des
Vogtgedinges die Rechtsprechung nicht zum Erliegen kam.
Quellen
Weistümer der kurkölnischen Ämter Kempen
und Oedt ... / Dieter Weber
Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein, insbesondere
das alte Erzbistum Köln / Heft 170
Die Geschichte des alten Amtes Oedt bis 1815 / F. Kogelboom / Oedt
1908
Territorienbildung in den Ämtern Kempen, Oedt und Linn / Hans Kaiser
/ Kempen 1979