Genealogische Zusammenstellung der Familie Steger vom linken Niederrhein

Leinen- und später Sammetweberei in Hinsbeck

Das Weben oder Flechten gehört zweifelsfrei zu den größten Erfindungen der Menschheitsgeschichte. Irgendwann in grauer Vorzeit begann man einmal damit. Bis heute hat sich an der Grundtechnik nicht viel verändert. Bei den nordamerikanischen Indianern konnte man diese primitiven aber zweckmäßigen Webrahmen (Vorläufer der Webstühle) noch lange beobachten.

Das Arbeitsgerät des Webers, der Webstuhl, war ganz aus Holz gefertigt. Wenn alle Teile verzapft waren, konnte der Webstuhl jederzeit leicht auf- und abgebaut werden.

Leinenwebstuhl 18. Jahrhundert
Niederrheinisher Leinenwebstuhl, gezapft und damit ganz zerlegbar, 18. Jahrhundert.

Die erste Arbeit des Webers war es, die Webkette aufzuziehen. Für diese Arbeit bedurfte es mehrerer Personen. Die Enden der Kette wurden gleichmäßig über einen Stab verteilt, der mit Stiften an der Nut des Kettbaumes befestigt wurde. Zum gleichmäßigen Aufziehen der Kette auf den Kettbaum benutzte der Weber den Lesekamm, auch Redekamm genannt. War die Kette nach einigem hin und her dann aufgewickelt, wurden das Webgeschirr, das aus den zwei Schäften bestand, die Weblade mit dem Riet und das Sielscheid angehängt. Das Sielscheid ist die Aufhängevorrichtung für die Schäfte, die über breite Lederbänder beweglich sind. Das untere Ende der Schäfte wurde mit je einem Fußhebel (Tritte) verbunden. Mit den Tritten konnte der Weber mit den Füßen die Schäfte im Wechsel auf und abführen. Im nächsten Arbeitsgang knotete der Weber die Kettfäden an den Kettenrest des zuletzt gewebten Stückes an, welche sich noch im Riet und Geschirr befand. Diese Arbeit dauerte sehr lange. Hatte der Weber dann die neuen Fäden vorsichtig durch das Riet gezogen, wurde der Kettenanfang am Brustbaum befestigt. Dann konnte er einen ersten Webversuch unternehmen, um festzustellen, ob alles seine Richtigkeit hatte. Dies nannte man das Anweben. Das Weben war eine gleichförmige Arbeit, die jedoch trotzdem höchste Genauigkeit erforderte, um auch erstklassige Ware zu erhalten. Ein guter Weber schaffte auf diese Weise früher 5 - 6 Meter Leinengewebe an einem Tag.

Leinwand war ab dem Mittelalter ein hochgeschätztes Gewebe, aus dem nicht nur Hemden und Bettzeug, sondern auch Kleider, Waffenröcke, Satteldecken, Hutbezüge und Paniere verfertigt wurden.

Leinenweber verarbeiteten ursprünglich sowohl gesponnenen Flachs als auch Hanf zu Leinwand; seit etwa 1500 wurde Hanf hauptsächlich nur noch für Haustuch, Sack- und Packleinwand, grobe Zeuge wie Segeltuch und Seilerwaren verwendet.

Wichtige Weichen für das sich ausdehnende Leinengewerbe stellten auch die Händler, seit dem 16. Jahrhundert meist Mennoniten, die rohe Leinwand aufkauften und an die erreichbaren Großhandelsplätze brachten - so unter anderen auch nach Haarlem in den Niederlanden. Hier gab es Bleichspezialisten, die das hiesige Leinen veredelten, weiß machten, damit es in großen Mengen verkauft werden konnte. Das kam den Leinenwebern entgegen, die fast nie aus ihrem Kirchturmsbereich herauskamen, die die Handelsmärkte nicht selbst beliefern konnten, ja sie nicht einmal kannten.

Die Bedeutung des Flachs für das wirtschaftliche Leben in Hinsbeck, dem Wohnort der Vorfahren der Stegerlinie zu dieser Zeit, kommt in den Quellen des Gemeindearchivs zum Ausdruck, die allerdings erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ergiebiger werden:
In den Kirchenrechnungen für Hinsbeck aus den Jahren 1747/48 fällt die Eintragung „50 ... Ellen Stulpendoeck" auf. Das ist ein qualitativ wertvolles Gewebe, denn solches Stulpenleinen war das hochwertigste und feinfädigste Leinen, das überhaupt hergestellt werden konnte. Ihm wurde so große Bedeutung zugemessen, daß bei der Übertragung der Güter auf die Kinder der Eheleute Neles Stehls und Drütgen Bellen am 20. September 1785 besonders aufgeführt wurde, daß die Schwester Agnes neben der Aussteuer auch ein Stulpen-Bettlaken erhielt.
In Kirchenrechnungen von 1757 und 1758 tritt Derick Mevesen in Erscheinung, der „voor des Kerk gemacht, een Stück Gebild van 69 Ellen". Es handelt sich offensichtlich um einen Gebildweber, der in der Lage war, technisch und qualitativ anspruchsvolle Leinwand, nämlich Kirchenleinen, auf seinem Handwebstuhl herzustellen. Gebildleinen, auch Zwillich genannt, nutzt durch Köperbindungen die Eigentümlichkeit, daß seine Karos und Blöcke oder die figürlichen Darstellungen bei seitlichem Lichteinfall verschieden glänzen. Dieser Eindruck wird durch das Bleichen, Pressen und Mangeln noch verstärkt. Gebildweben ist die kunstvolle Hochleistung der Leinwandherstellung. Und um sogleich die Frage zu beantworten, ob dieses Stück Gebild auch am Ort hergestellt wurde und nicht Handelsware war, lautet die nächste Eintragung in dieser Kirchenrechnung: „ Voor diese Stück aen spinnen betaelt ...". Dann folgt eine Garnabrechnung, und die verarbeiteten Fasern werden mit „4 1/2 Steen Flaeß tot het geseyde Doek" angegeben. Ein Stein sind fünf Pfund spinnfähige Fasern, die als Handelseinheit zu einem Bund zusammengeschnürt wurden. In Hinsbeck ist, so ist als Ergebnis festzuhalten, demnach schon Mitte des 18. Jahrhunderts die hochwertige handwerkliche Leinenverarbeitung betrieben worden.

Bei der Durchsicht der Hinsbecker Handwerkslisten aus der Mitte des 18. Jahrhunderts fällt ein Wort hinter den Eigennamen immer wieder auf, das Wort „getaw". Während die übrigen Handwerker mit ihrem Beruf genannt werden, ist es bei den Webern anders. Das Wort „getaw" sagt eigentlich nur etwas über das benutzte Arbeitsgerät aus. Es war ursprünglich die Bezeichnung für jede Art von Handwerksgerät und wurde dann am Niederrhein immer mehr für den weit verbreiteten Handwebstuhl benutzt. „Di Getau", so die spätere mundartliche Bezeichnung und Schreibweise, zeigt, wie stark der Beruf und das dafür unentbehrliche Arbeitsgerät ineinander übergingen. Das uns geläufige Wort „Wäevstohl" oder auch nur „Stohl" wurde meist erst für den hinterher benutzten mechanischen Webstuhl gebraucht, obschon der Weber darin nicht mehr sitzen konnte. Der Berufsliste von 1750 ist zu entnehmen, daß damals in Hinsbeck jeder Dritte in der Liste der Handelsleute und Handwerker als Weber sein tägliches Brot verdiente. - So ist es nicht verwunderlich das auch drei Vorfahrgenerationen der Stegerlinie dieser Zeit aus Leuth und Hinsbeck Berufe wie Weber, Leinenweber, Spinnerin und später Samtweber zur Beurkundung angaben. Als Urkundlich belegte Weber unserer Vorfahren siind hier zu nennen:

Steger Conradus,* 01.10.1755 - † 20.03.1830 Weber, dessen Sohn
Steger Peter Johann, * 03.09.1807 - † 13.02.1868 Weber und seiner Frau
Steger Anna Catharina, geb Thören * 16.02.1805 - † 22.01.1847 Spinnerin und schließlich deren Sohn
Steger Peter Mathias, * 11.11.1841 - † 17.11.1919 Samtweber.

Ob frühere Steger-Generationen ebenfalls mit der Weberei ihr Auskommen verdienten ist nicht nachweisbar, da die Kirchenbucheinträge aus dieser Zeit keine Berufsangaben enthalten.

Niederrheinischer Handweber
Niederrheinischer Handweber mit Wurfschiffchen

Ob der Verdienst aus dem Weberhandwerk immer ausreichte, um für sich und die selbstverständlich mitarbeitende Familie genügend Brot zu kaufen, das ist ein ganz anderes Kapitel. Wir wissen von Zeiten, in denen die Handweber über Land gingen, um Gehilfen anzuwerben. Aber, oft nur kurze Zeit später, wurden öffentliche Suppenküchen eingerichtet, um den notleidenden Kindern der Weber wenigstens einmal täglich eine warme Suppe zu bereiten.

Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Textilbranche inzwischen die einfache Flachsweberei auf prächtigen Sammet umgestellt, der zwar immer noch auf Handwebstühlen entstand, aber in einer neuartugen Doppelsammettechnik. Er war so gut, daß er in alle Welt verkauft werden konnte.

Aufstellung der Handwerker in der Bürgermeisterei Hinsbeck vom 17. Oktober 1850

Handwerk
Anzahl der darin Tätigen
Altersangaben
Bäcker
9
Alter zwischen 19 und 62 Jahre
Fleischer
3
Alter zwischen 28 und 56 Jahre
Schuhmacher
12
Alter zwischen 25 und 60 Jahre
Sattler
3
Alter zwischen 40 und 71 Jahre
Hutmacher
1
Alter 70 Jahre
Weber
107
Alter zwischen 18 und 73 Jahre
Schneider
21
Alter zwischen 22 und 65 Jahre
Tischler (Schreiner)
2
Alter 27 und 38 Jahre
Böttcher
2
Alter 31 und 73 Jahre
Drechsler
3
Alter zwischen 38 und 45 Jahre
Korbflechter
3
Alter zwischen 46 und 63 Jahre
Glaser, Anstreicher u. Tapezierer
1
Alter 32 Jahre
Grobschmiede
8
Alter zwischen 34 und 66 Jahre
Kupferschmiede
1
Alter 47 Jahre
Schlosser
2
Alter 26 und 77 Jahre
Uhrmacher
1
Alter 47 Jahre
Färber
4
Alter zwischen 38 und 45 Jahre

Selbständige Weber- und Wirker-Meister und berechtigte Gesellen in der Bürgermeisterei Hinsbeck 1852

Weber und Wirker
Meister
Gesellen
in Seinde
4
2
in Sammet
42
22
in Sammetband
12
11
in Kattun
15
2
in Leinen
39
2
Strumpfwirker
2
-

 

Weber- und Wirker-Meister, -Gesellen und -Lehrlinge 1848 - 1860 in Hinsbeck

Beruf
Stand
1848
1857
1858
1859
1860
Weber und Wirker jeder Art
Meister
96
160
189
195
199
Geselle
30
55
40
45
46
Lehrling
20
50
32
40
42

 

Nach dem Ergebnis einer Volkszählung vom 1. Dezember 1880 wurden in Hinsbeck 2944 Einwohner festgestellt. Die Gesamtzahl der Handwebstühle betrug 532, davon einer für baumwollene Ware, sechs für Leinen und Halbleinen, 524 Sammetwebstühle und ein Webstuhl für seidene und halbseidene Ware. Die Bemerkungen zur Bürgermeisterei Hinsbeck in diesen Volkszählungsunterlagen lauten: "Hauptnahrungszweig ist neben der Handweberei die Ackerwirtschaft. In den geschlossenen Orten wohnen die Weber meist zur Miete, auf dem Lande dagegen besitzen sie zumeist ein Häuschen mit Ackerland."

Das Jahr 1880 kann als das Ende der Sammet-Handweberei angesehen werden. Im niederrheinischen Revier waren noch 17500 Handwebstühle für Sammet vorhanden, von denen fast 2000 für die Gebrüder Niedieck in Lobberich arbeiteten. Aber schon 900 bis 1000 mechanische Doppelsamtwebstühle nahmen immer mehr Einfluß auf die Lage der Handweber. Die Samtweberei Niedieck stand schon, mit mehr als 300 Beschäftigten, seit 1877 auf der Liste der Großbetriebe im Regierungsbezirk Düsseldorf. Hinsbeck konnte sich auch in Zukunft nicht der Macht der Fabriken in der Umgebung entziehen, hat es aber selbst nie zur Gründung größerer Firmen gebracht. So blieb den Hauswebern nicht erspart, außerhalb ihres Heimatortes geeignete Arbeitsstätten zu suchen, verdiente doch ein Samtweber durch die enorme Leistungssteigerung in der Fabrik auf einem Maschinenwebstuhl 900 Mark im Jahr, während der Handweber nur auf ein Durchschnittseinkommen von 365 Mark im Jahr kam.

Die Textilherstellung und die damit zusammenhängenden Nebenberufe sind für die Hinsbecker Wirtschaftsgeschichte also die wichtigsten Handwerkszweige. Was das gesamte Wirtschaftsleben der Gemeinde betrifft, war allerdings sicherlich die Landwirtschaft bis in das 20. Jahrhundert hinein von noch größerer Bedeutung.

Quelle:
Walter Tillmann, aus Aufsatz Handel, Gewerbe und Landwirtschaft in Hinsbeck, in Hinsbeck, Beiträge zur Geschichte, Sprache und Natur einer niederrheinischen Gemeinde, Schriftenreihe des Kreises Viersen 42, Viersen 1997 ISBN 3-931242-13-7
Literatur:
Walter Tillmann, Spinnen und Weben. Textilverarbeitung am Niederrhein (= Schriftenreihe des Museumsverems Dorenburg 34), Köln/Bonn 1981.
Kisch, Textilgewerbe, S. 98ff. mit besonderer Berücksichtigung der Gladbacher und Krefelder Entwicklung; Paul Koch, Der Einfluß des Calvmismus und des Mennonitentums auf die Niederrheimsche Textilindustrie. Ein Beitrag zu Max Weber: „Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus", phil. Diss. München 1928; Walter Tillmann, Die Haarlemer Leinenbleichereien und der Niederrhein, in: HBV24(1973), S. 74-83.
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