Welcher Sprache bedienten sich unsere Vorfahren am Niederrhein?
Heute gilt Deutsch als Standardsprache am Niederrhein als selbstverständlich und ebenso natürlich ist es für uns, dass westlich bzw. nördlich der deutsch-niederländischen Grenze Niederländisch die Standardsprache ist. Doch diese Übereinstimmung von Staats- und Sprachgrenze ist erst eine Folge der Nationalstaatenbildung nach 1815. Noch im frühen 19. Jahrhundert war niederländisch in Geldern die führende Schreibsprache, dass das mittelalterliche Rhein-Maas-Ländische abgelöst hatte. Auch die Preußen änderten von 1703 bis zur Franzosenzeit wenig daran. Erst nach 1814 wurde die hochdeutsche Sprache als Pflicht eingeführt und bei Nichtverwendung z.B. von der Kanzel auch bestraft. Viele Ausdrücke unseres Dialektes finden nach wie vor Ihren Ursprung im Niederländischen aber auch die 20 Jahre französischer Zeit (1794-1814) haben bis heute Ihre Spuren hinterlassen. So ist der Ursprung des Ausdrucks: "Nu mach ma keine Fisematenten" in der Aufforderung des französischen Soldaten "Visitez ma tente" (Besuchen Sie mein Zelt) zu suchen, der wohl eine eindeutige Einladung zum gemeinsamen Zeitvertreib an das andere Geschlecht darstellte. Stand also abendlicher Ausgang an, wurde den jungen Frauen ein "mach aber keine Fisi ma tenten" mit auf den Weg gegeben.
Sprachentwicklung im Rhein-Maas-Dreieck
Im Mittelalter gab es eine einheitliche Schreibsprache im Rhein-Maas-Dreieck,
die weder als deutsch noch als niederländisch im modernen Sinn zu
bezeichnen ist. Dieses Rheinmaasländische gewann seit dem 12. Jahrhundert
große Bedeutung für die mittelalterliche Literatur (z.B. Minneromane),
etwas später auch für Rechtstexte und Chroniken.
Das Rhein-Maas-Dreieck wurde im Süden begrenzt von der französischen
Sprachgrenze sowie der seit dem frühen Mittelalter bestehenden Benrather
Linie, der wichtigsten Trennlinie zwischen niederdeutschen und hochdeutschen
Mundarten (Trennlinie zwischen maken und machen und der klaren Unterscheidung
von Dativ und Akkusativ beim Personalpronomen)', südlich der Benrather
Linie wurde ripuarisch (mittelfränkisch) gesprochen. Im Osten war
die Grenze die in der Karolingerzeit entstandene und nach Norden sich
abschwächende Rhein-Issel-Linie (östlich von ihr der Einheitsplural
wi mähet, ji mähet, sie mähet gegenüber wir machen, ihr macht, sie
machen), die zugleich den Übergang vom Rheinland nach Westfalen markiert.
Im Westen grenzte das Rhein-Maas-Dreieck an den brabantischen Sprachraum;
Grenze war die ebenfalls in die Karolingerzeit zurückreichende Diest-Nimwegen-Linie
(houden anstelle von hochdeutsch halten); sie ist von besonderer Bedeutung
für die niederländische Dialektologie. Zusätzlich befinden sich im
rhein-maasländischen Sprachraum weitere Sprachgrenzen, die sich teilweise
wellenförmig von Köln aus nach Norden ausdehnen. Von ihnen ist nur
die Uerdinger Linie in die Karte eingezeichnet, die den Bereich des
nördlichen ik vom südlichen ich trennt. Die Kenntnis derartiger sprachlicher
Besonderheiten erleichtert es, die Entstehung von Texten regional
einzuordnen.
Köln als Kulturzentrum hatte auch sprachlich erheblichen Einfluss.
So griff die hochdeutsche Schreibsprache, die 1544 endgültig in Köln
eingeführt wurde, von dort aus auf das Gebiet des Niederrheins über,
z.B. auf Moers, Duisburg und Wesel. Allerdings erfass-te die Überlagerung
der rhein-maasländischen Schriftsprache durch das Hochdeutsche nicht
das gesamte Rhein-Maas-Dreieck, dessen westlicher Teil mit dem geldrischen
Oberquartier (in der Karte besonders markiert) 1543 an das Haus Habsburg
fiel und damit die Bindung zum niederländisch-burgundischen Raum festigte.
An dieser habsburgischen Territorialgrenze brach die Ausdehnung des
Hochdeutschen ab. Die Folge war die Entstehung einer neuen Schreibsprach-Grenze,
denn die westlichen Gebiete, also auch das spätere Preußisch Geldern,
wurden von der brabantisch/holländischen Schreibsprache überdacht,
einer Vorform der heutigen niederländischen Standardsprache. Vom 18.
Jahrhundert an finden sich am Niederrhein als Schreibsprachen nur
noch die deutsche und die niederländische Standardsprache, die im
preußischen Teil Gelderns erst im 19. Jahrhundert durch das Deutsche
abgelöst wurde, sodass es zu einer Kongruenz von Staats- und Sprachgrenze
kam. Nur in den Dialekten sind die ehemaligen sprachlichen Gemeinsamkeiten
noch erhalten. Ein schönes Besispiel eines o erhaltenen Dialektes
ist nachzulesen auf der Seite Geschichte
der Theunissen Familie vom Wyler Berg die ein Onkel im heimatlichen
Dialekt verfasst hat.
Sprachen am Niederrhein um 1789
Zur Zeit der Französischen
Revolution war die Sprachlandschaft am Niederrhein noch vielfältig.
Als Alltagssprache wurden meist örtliche Mundarten gebraucht; als
Schriftsprache, die zum Teil mündlich auch in der Kirche und bei Gericht
benutzt wurde, konkurrierten Deutsch und Niederländisch. Erst im Laufe
des 19. Jahrhunderts, parallel zur Ausbildung des nationalstaatlichen
Denkens, entwickelte sich eine deutliche sprachliche Trennung; die
Staatsgrenze am Niederrhein wurde damit zur Sprachgrenze. Ausschlaggebend
für deren Verlauf und für den Verlust der Zweisprachigkeit war letztlich
die Entscheidung des Wiener Kongresses, die Grenze zwischen den Niederlanden
und Deutschland einen Kanonenschuss östlich der Maas festzulegen.
Doch im geldrischen Bereich dauerte es nach 1815 noch mehrere Jahrzehnte,
bis sich die deutsche Sprache als Regelsprache voll durchgesetzt hatte.
Im Herzogtum Kleve war die Bevölkerung linksrheinisch insgesamt und
rechtsrheinisch im Bereich nördlich der rein deutschsprachigen Stadt
Wesel noch weitgehend zweisprachig, obwohl das Gebiet bereits seit
180 Jahren von Berlin aus regiert wurde und Deutsch auch auf örtlicher
Ebene die Amtssprache war. Westlich des Rheins wurde Niederländisch
stärker gebraucht als Deutsch - mit Ausnahme der Verwaltungs- und
Beamtenstadt Kleve und der seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bestehenden
Kolonistensiedlung Pfalzdorf. Rechtsrheinisch hingegen dominierte
Deutsch, aber selbst in einigen rechtsrheinischen Orten nördlich der
Lippe wurde noch der Zweisprachigkeit der Bevölkerung dadurch Rechnung
getragen, dass der Schulunterricht zwar generell in Deutsch, teilweise
aber auch in Niederländisch erteilt wurde. Im südlichen rechtsrheinischen
Teil des Herzogtums Kleve hingegen hatte sich Deutsch vollkommen durchgesetzt
und war die alleinige Schriftsprache, ebenfalls im preußischen Fürstentum
Moers. In der kurkölnischen Exklave Rheinberg wurde jedoch teilweise
auch Niederländisch gebraucht.
Im Herzogtum Geldern, das zu diesem Zeitpunkt immerhin schon fast
80 Jahre lang preußisch war, wurde Niederländisch am Ende des 18.
Jahrhunderts überwiegend (und zwar auch in der südlich gelegenen Exklave
Viersen) oder sogar ausschließlich (westlich der Maas) verwandt. Der
Eindeutschungsprozess setzte allerdings bereits im 18. Jahrhundert
ein, besonders aber während der Zeit der französischen Besatzung,
als Geldern Bestandteil des weitgehend deutschsprachigen Roer-Departements
mit Aachen als Hauptstadt war. Während dieser Zeit wurden in Geldern
auch Schulbücher in deutscher Sprache eingeführt. Nach 1815 wurde
dann in dem preußisch verbliebenen geldrischen Gebiet der Gebrauch
des Deutschen forciert, das nicht nur als alleinige Amtssprache verwandt
wurde, sondern sich auch generell durchsetzen sollte und daher auch
von den Pfarrern während des Gottesdienstes benutzt werden musste.
Zunehmend beschränkte sich der Gebrauch des Deutschen nunmehr nicht
nur auf die Beamten und die gebildeten Schichten, sondern fand allgemeine
Verbreitung, wenngleich sich die Mundart in weiten Kreisen noch lange
als gesprochene Sprache hielt und in wenigen Fällen noch heute benutzt
wird. Dennoch bewirkte die preußische Sprachpolitik in Geldern im
Ganzen gesehen den Verlust der Zweisprachigkeit am Niederrhein.
Quelle:
Hantsche Atlas zur Geschichte des Niederrheins, Essen 2004
Geschichte, Landschaft und Sprache Hinsbecks
Literatur:
GEORG CORNELISSEN, Das Niederländische im preußischen Gelderland und
seine Ablösung durch das Deutsche. Untersuchungen zur niederrheinischen
Sprachgeschichte der Jahre 1770 bis 1870, Geldern 1986; DERS., Zur
Sprache des Niederrheins im 19. und 20. Jahrhundert, in: Dieter Geuenich
(Hg.), Der Kulturraum Niederrhein, Bd. 2: Im 19. und 20. Jahrhundert,
Bottrop/Essen 1997, S. 87-102; DERS., ,Beide taalen kennende'. Klevische
Zweisprachigkeit in den letzten Jahrzehnten des Anden Regime, in:
Helga Bister-Broosen (Hg.), Niederländisch am Niederrhein, Frankfurt/M.
1998, S. 83-100; HELMUT TERVOOREN, Die sprachliche Situation am Niederrhein
im 16. bis 18. Jahrhundert, in: Dieter Geuenich (Hg.), Der Kulturraum
Niederrhein, Bd. 1: Von der Antike bis zum 18. Jahrhundert, 2. Aufl.,
Bottrop/Essen 1998, S. 27-42.
AREND MIHM, Sprache und Geschichte am unteren
Niederrhein, in: Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung,
Jg. 1992, S. 88-122; MICHAEL ELMENTALER, Die Schreibsprachgeschichte
des Niederrheins. Ein Forschungsprojekt der Duisburger Universität,
in: Dieter Heimböckel (Hg.), Sprache und Literatur am Niederrhein
(= Schriftenreihe der Niederrhein-Akademie, Bd. 3), Bottrop/Essen
1998, S. 15-34.