Städte und Freiheiten am Niederrhein bis 1520
Nicht immer ist es möglich, für Städte ein genaues
Gründungsdatum anzugeben, da die Stadtbildung meist ein fließender
Prozess war und Urkunden über den Rechtsakt der Stadtgründung oder
Stadterhebung vielfach nicht mehr erhalten sind oder nie existierten.
Die uns bekannten Ersterwähnungen in Quellen erfolgten häufig erst
längere Zeit nach der Stadtwerdung. Außerdem herrscht in der Forschung
keine volle Übereinstimmung darüber, welche Kriterien eine Stadt ausmachen;
auch die Abgrenzung gegenüber Freiheiten, also stadtähnlichen Siedlungen
minderen Rechts, ist manchmal schwierig. Meist war die Stadtwerdung
ein fließender Prozess, selten wurden Städte aus dem Nichts wirklich
neu gegründet; die Regel war eher die Verleihung von Stadtrechten
an bereits bestehende Orte, die am Niederrhein teilweise bis in die
Römerzeit zurückgehen. Doch nicht alle mittelalterlichen Städte, die
auf dem Boden von castra oder oppida erwuchsen, haben eine seit der
Antike durchgehende Tradition. In Köln und Bonn hielt sich innerhalb
der römischen Mauern eine kontinuierliche Besiedlung, die in Köln
besondere Impulse durch das dort seit spätrömischer Zeit bestehende
Bistum erhielt. Auch Neuss entstand auf dem Areal des römischen Lagers
Novaesium, doch eine Kontinuität ist nicht gesichert, obwohl der Name
darauf hindeutet. Xanten, das mittelalterliche Ad Sanctos, erwuchs
nicht auf den Überresten eines römischen Lagers oder der Zivilstadt
Colonia Ulpia Traiana, sondern auf der benachbarten aber ebenfalls
antiken Grabstätte frühchristlicher Märtyrer. Jülich entstand topographisch
gesehen auf dem Boden des römischen Kastells; die Grafen von Jülich
nahmen dort ihren Sitz, doch die Stadtwerdung entsprang mittelalterlichen
Triebkräften.
Die meisten Städte am Niederrhein besitzen jedoch keine vormittelalterlichen
Bezüge. Sie verdanken ihre Existenz in der Regel dem Handel, zumal
wenn ihre Lage an Flüssen oder Straßen günstige Voraussetzungen für
einen Markt bot. Wichtig waren auch fortifi-katorische Überlegungen,
die zum Mauerbau führten, dem äußerlichen Kennzeichen der mittelalterlichen
Stadt. Die Stadtherren erhöhten ihre Machtposition häufig noch durch
die Anlage einer landesherrlichen Burg, die zugleich äußerer Ausdruck
ihrer Macht war. Nicht immer hatte sie den Charakter ein Zwingburg,
aber sie war zumindest Verwaltungsund Amtssitz. Für den Stadtherren
stellten die Städte zudem eine wichtige Einnahmequelle dar, wozu nicht
nur finanziell nutzbare Rechte beitrugen (z.B. Zoll- und Münzrecht,
Niederlassungsrecht für Lombarden und Juden, Grundzins und andere
Steuern, Gerichtsbußen, Fährgelder, Fischerei-, Mühlen- und Brauereirechte).
Vielmehr ließen sich die Landesherren auch den Städten gewährte Privilegien
teuer bezahlen. Mit ihnen suchten die Bürger die Rechte des Stadtherren
zugunsten der Selbstverwaltung zu mindern. Eine völlige Unabhängigkeit
erlangten sie jedoch nur im Fall von Köln, das 1288 nach der Schlacht
bei Worringen das erzbischöfliche Regiment endgültig abwehren konnte.
Städtegründer am Niederrhein waren die Könige, die Erzbischöfe von
Köln und ab dem 12. Jahrhundert weltliche Landesherren, vornehmlich
die Grafen/Herzöge von Kleve, Geldern, Jülich und Berg. Nicht selten
erfolgten Besitzwechsel, meist durch nicht wieder eingelöste Verpfändung.
So gerieten die Reichstadt Duisburg (1290), das kurkölnische Xanten
(1290) und Rees (1292) sowie das geldrische Emmerich (1355) an Kleve,
zeitweilig auch Kaiserswerth und Rheinberg.
Quelle:
Hantsche Atlas zur Geschichte des Niederrheins,
Essen 2004
Literatur:
EDITH ENNEN, Rheinisches Städtewesen bis 1250 (= Geschichtlicher Atlas
der Rheinlande, Karte und Beiheft VI/1), Köln 1982; KLAUS FLINK, Die
rheinischen Städte des Erzstiftes Köln und ihre Privilegien, in: Kurköln.
Land unter dem Krummstab. Essays und Dokumente, Kevelaer 1985, S.
145-163; DERS., Die klevischen Herzöge und ihre Städte (1394 bis 1592),
in: Land im Mittelpunkt der Mächte. Die Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg.
Ausstellungskatalog, Kleve 1984, S. 75-98; ERICH KEYSER, Rheinisches
Städtebuch (= Deutsches Städtebuch Bd. 111,3), Stuttgart 1956.